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Caro's Welt

03. November 2023

Ich bin für weniger Anonymität

Nach 3 Generationen anonymer Alkoholiker:innen stehe ich für stigmafrei alkoholfreies Leben in der Öffentlichkeit

Zum 70. Jährigen Jubiläum hörte ich auf Bayern 2 einen Beitrag mit Jürgen Hoß, dem Vorsitzenden der Anonymen Alkoholiker (AA) in Deutschland. Am 1. November 1953 trafen sich in einem Hotel in München erstmalig Anonyme Alkoholiker. Die Selbsthilfegruppe gibt es seit 1935 und wurde in den USA gegründet. Mittlerweile gibt es mehr als 2000 selbst organisierte Gruppen in Deutschland. Laut dem Vorsitzenden Jürgen Hoß, der sich selbst in dem Radiobeitrag als Whiskey Liebhaber für homöopathische Dosen und nicht als Alkoholiker bezeichnet, ist die Anonymität für Alkoholiker wichtig, um die Gemeinschaft zu schützen. Nach dem Prinzip der AA senkt sich der „Saufdruck“ trockener Alkoholiker, während sie sich in einem geschützten Raum über ihre Sucht unterhalten können.

Auf die Frage der Moderatorin hin, warum Alkoholiker ihr Leben lang Alkoholiker bleiben, wenn sie „trocken“ sind, Raucher aber hingegen das Label irgendwann für sich ablegen, bringt Hoß die Unheilbarkeit von Alkoholismus ins Spiel. Der Vorsitzende der AA weist auf das Rückfallrisiko bei schon einem kleinen Bissen einer alkoholdurchdrängten Praline hin. Wenn Ihr an meinen bisherigen Formulierungen nicht schon eine gewisse kritische Haltung festmachen konntet, dann müsste Euch spätestens jetzt auffallen, dass das Interview in meinen Augen ein paar Widersprüchlichkeiten in sich birgt. Denn, nach meiner persönlichen Erfahrung mit Nikotin ist das genauso. Nach meinem persönlichen Dafürhalten sind beide Suchterkrankungen ein Leben lang nicht „heilbar“ und das Gesundheitsrisiko nur mit 100% Freiheit von diesen Substanzen einzuschränken.  

„Sind ehemalige Raucher anders als ehemalige Trinker? Oder wieso treffen keine atemlosen Raucher auf trockene Alkoholiker?"

Eine genaue Definition für Alkoholiker konnte Jürgen Hoß ebenfalls nicht klar abgeben. Als Indikator für eine Alkoholsucht beschreibt er zwei situative Beispiele. 1. Wenn sich jemand nach dem Joggen regelmäßig mit Weißbier belohnt oder 2. Jemand nach Feiern regelmäßig betrunken nach Hause geht.

Das lasse ich einfach mal unkommentiert stehen und wirken. Grundsätzlich begrüße ich jede Form der Hilfestellungen für alkoholkranke Menschen und bin mir sicher, dass es viele tausende Menschen in Deutschland gibt, die sich über die AA gegenseitig effektiv helfen können, alkoholfrei zu leben.

ABER: nach meinen Erfahrungen als Kind einer suchtkranken Mutter und als problematisch trinkende Mutter, sehe ich die Anonymität, Ausgrenzung und das Label Alkoholikerin, wie sie von AA propagiert werden hinsichtlich der Entstigmatisierung von Alkoholproblemen als menschliches Versagen, Willens- oder Charakterschwäche äußerst kritisch.

Mit diesem Konstrukt lassen wir Alkohol als normatives Kulturgut weiter gesellschaftlich zelebriert sein Unwesen unter uns treiben und schieben weiterhin Menschen mit anormalem Alkoholverhalten als „zu labil für Alkohol“ in anonyme Räume ab.

Was passiert dann mit Menschen in einem frühen Stadium problematischen Trinkens? Sie nehmen ihre Schwelle als Grenze zwischen Licht und Schatten vielleicht kurz unbewusst wahr. Im Licht tanzen alle starken Menschen mit Alkohol weiter. Im Schatten sitzen die schwachen Alkis, und zwar bis zu ihrem Lebensende. Da tanze ich doch lieber mit nur einem Schluck gestärkt weiter und ignoriere bzw. verdränge meinen kürzlichen Kontrollverlust, oder?

So habe ich das jedenfalls gemacht. Und viele weitere Menschen, die sich bereits in der Öffentlichkeit mit einem Alkoholproblem outeten.

„Mich heimlich mit alkoholkranken Menschen treffen und nie wieder Spaß haben? Da bleibe ich lieber kultivierte Trinkerin“

Sehe und höre ich hingegen Menschen wie Du und ich im öffentlichen Raum offen und ehrlich darüber berichten, wie schamlos Alkohol kultivierte Zombies aus ihnen machte und wie wenig sie sich für ihr Alkoholproblem schämen, sondern frei sind, weil sie erkannt haben, dass Alkohol das Problem ist ... nicht ihr Charakter,

... dann fühle ich mich auch weniger schwach und ausgeschlossen. Dann kann ich mich meinem eigenen Alkoholproblem mit größter Willenskraft und Charakterstärke stellen und die Droge Alkohol als das erkennen, was sie ist:

ein Zellgift, dass als harmloses Kulturgut verkleidet täglich Familien Lebenszeit und Unternehmen Produktivität nimmt.

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