Caro's Welt
Für Schnupfen kann ich ja nix
Tag 23 - Alkohol & Berufsgruppen
Verdeckte Alkoholprobleme ziehen sich durch alle Milieus und Berufsgruppen
Für Schnupfen kann ich ja nix
Es gibt keine Berufsgruppe, die nicht mit verdeckten Alkoholproblemen am Arbeitsplatz zu tun hat. Ein ständiges Verlangen nach Alkohol trägt keine:r gerne zur Schau. Und über Kontrollverlust offen zu sprechen schaffen die wenigsten Menschen, solange ihr Verhalten im Arbeitsumfeld noch nicht negativ auffällig geworden ist.
Angst “Schwäche” zu zeigen und Angst vor Image-, Status- oder Arbeitsplatzverlust steht weit über der Problem- und damit Krankheitseinsicht. Schnupfen, Migräne oder Rückenschmerzen sind hingegen Topthemen für die Mittagspause oder beim Smalltalk an der Kaffeemaschine.
Warum ist das so?
Weil wir bei Alkoholproblemen sofort “selbst schuld” oder “hat sich nicht gut im Griff” oder “wenn ich nicht mehr Trinken kann ist mein Leben vorbei” im Kopf haben. Diese Ängste und Einstellungen sind nunmal leider noch weit verbreitet in unserer Leistungsgesellschaft. Hand aufs Herz und Finger an die Nase: Hört mal selbst in Euch rein, wie ihr denkt wenn es um eine laufende Nase oder eine laufende Alkoholfahne geht...
"Alki" ist ein Stigma, "Rotznase" eine Verniedlichung.
Challenge 23 - Alkohol am Arbeitsplatz
Je nach Berufszweig, Branche und Stellung hat problematischer Alkoholkonsum unterschiedliche Auswirkungen auf das Umfeld. Von betrunkenen Lehrkräften geht vielleicht akut nicht so viel Risiko auf andere über wie von betrunkener Chirurg:innen? Jeder verkaterte oder alkoholisierte Mensch stellt am Arbeitsplatz für sich und andere ein gewisses Risiko dar. Arbeiten Menschen mit Alkoholproblemen an großen Maschinen hat das andere Auswirkungen als wenn sie mit Paragraphen, Pixeln oder Grafiken arbeiten.
Alkohol in der Gastronomie oder Kreativbranche hat einen anderen Stellenwert wie Alkohol in der Politik oder Verwaltung? Nicht unbedingt. Wie stark Alkohol für kulturelle Zwecke im Business instrumentalisiert oder im Berufsumfeld normalisiert wird, entscheiden manchmal nur Führungskräfte und Teamkulturen. Seit Mimi Fiedlers Outing und Darstellung ihrer Alkoholerfahrungen am Filmset oder Til Schweigers Stellungnahme zu seinem (un-)kontrollierten Umgang mit Wein wird beispielsweise deutlich, wie unterschiedlich die Rezeption von Alkoholproblemen im gleichen Tätigkeitsbereich sein kann.
Solution 23 - Belohnung mit Alkohol ist keine Lösung
Dank meines achtsamen Netzwerks bin ich kürzlich auf den Podcast der Florian Holsboer Foundation mit Til Schweiger aufmerksam geworden. Die Foundation setzt sich für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen ein. Im Gespräch mit der Moderatorin räumt Til Schweiger ein, dass sein Alkoholkonsum phasenweise unvernünftig, aber nicht krankhaft sei. Ihm ist offenbar wichtig, dass er nicht als alkoholkranker Mensch von der Presse oder von anderen Menschen vorverurteilt wird. Prof. Holsboer bestätigt in dem Podcast neben Schweiger sitzend, dass keine Alkoholerkrankung vorliege und betont ebenso, dass nicht jeder Mensch, der die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum verliert automatisch damit alkoholkrank sei. Soweit kann ich das auch mitgehen.
Nur weil ich selbst eine Alkoholabhängigkeit durch kultivierte Gewöhnung und emotionale Regulierung im Alltag entwickelte als mein Leben dauerhaft außer Kontrolle geriet, möchte ich natürlich nicht anderen Menschen meine Erfahrung unterstellen oder “andichten”. So nach dem Motto "ihr seid doch alle Alkis wie ich".
Das liegt mir völlig fern. Ich bin für jeden Menschen dankbar, der oder die seinen bzw. ihren Konsum unter Kontrolle halten oder aktiv ohne Probleme reduzieren oder sogar problemlos 30 Tage aussetzen kann. Was für eine Freiheit, die ich jedem Menschen und vor allem jeden Elternteil wünsche. Ich kann nur alkoholfrei völlig frei leben.
ABER zurück zu Til Schweiger und worüber ich mal wieder motzen möchte: Ich störe mich extrem an Aussagen im Podcast wie “abendliche Belohnung mit Alkohol ist völlig in Ordnung”, “das machen doch auch so viele andere”, “das ist völlig normal”...
Ausblick Tag 24 - Manipulative Gemeinschaften
Diese verharmlosende Vereinfachung von “Deutschlands bekanntestem Psychiater” (O-Ton Podcast) und Deutschlands vermutlich bekanntestem Unterhaltungsfilmemacher, der einen großen Beitrag zur Entstigmatisierung von Alzheimer leisten möchte, finde ich im Kontext der Komplexität von Alkoholsucht, seines Bekanntheitsgrades und im Zusammenhang mit dem hohen Alkoholkonsum in Deutschland schwierig.
“Wir arbeiten daran, die Kontrolle über den Alkohol wieder zu bekommen” sagt der Professor, denn “ich liebe meinen Wein”, sagt der Filmemacher. Ich wünsche Til Schweiger und Vater von 4 Töchtern natürlich, dass er die Kontrolle über Alkohol (wieder) bekommt.
Dazu wünschte ich mir allerdings auch, dass Menschen wie Herr Prof. Holsboer und Til Schweiger Alkoholprobleme und den Verlust von Impulskontrolle etwas differenzierter für ein breites Publikum darstellen würden. Wenn beide schon so renommiert sind und so ein starkes Interesse an Entstigmatisierung haben. Ich erwarte nicht, dass sich Personen wie Til Schweiger zu “Alkoholikern” stigmatisieren lassen müssen, wenn sie es nicht sind oder sein möchten, aber ich erwarte eine wesentlich reflektierte Aufklärung über Alkohol und seine Rolle sowie Risiken in unserer Gemeinschaft.
Denn so wie die beiden Profis (?) über den Stellenwert von Alkohol als Belohnung im Alltag sprechen, stärken sie wiederum die Selbststigmatisierungstendenzen von Menschen, die gerade mit Kontrollverlust zu kämpfen haben und sich keine 1:1 psychologische Betreuung im Alltag leisten können.
Was kommt bei Menschen an, die vielleicht eben nicht kontrolliert trinken können und auch nicht in das Bild passen, dass der Professor sehr undifferenziert über Alkoholerkrankte jedenfalls in diesem Podcast zeichnet?
Weniger Lebenstalent als andere?
Wie manipulativ Alkohol in Gemeinschaften wirken kann, das erfahrt ihr als Impuls morgen.