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Caro's Welt

24. April 2024

Wieso es Krisen braucht, um persönliche Freiheiten zu erreichen

Unser SELBST als gedankliches Navigationssystem zu einem sinnstiftenden Leben

FREMDBESTIMMT IN ALLEN ROLLEN, WAR DER RAUSCH MEINE EINZIG FREIE SELBSTBESTIMMTE "AREA" 

... zumindest gaukelte mir das meine Droge, die sich wie ein falscher Freund in mein Leben hinein manipulierte, immer dann vor, wenn ich keine Kraft mehr hatte und mich einfach nur liebenswert fühlen und meine belastenden und beunruhigenden Gedanken abschalten wollte ... 

Als ich Christoph am 6. August 2020 kennenlernte, hatte ich zwei Tage vorher einen unerwarteten emotionalen Absturz. Wir waren am Höllensteinsee im Bayerischen Wald, was auch gerne Bayerisch Kanada genannt wird. Der Campingplatz ein traumhaftes Fleckchen für meine Jungs (damals 5 und 4 Jahre alt), unsere Freunde, unser selbst organisiertes Wohnmobil und mich. Oder zumindest das, was von mir übrig geblieben ist. Da war nicht mehr viel von der Caro, die ich von früher kannte und noch nicht viel von der Caro, wie ich sie heute kennenlerne. Ja, auch ich finde Menschen seltsam, die in der dritten Person von sich sprechen, also zurück zu meinem ICH. Vermutlich möchte ich am liebsten in die Perspektive einer dritten Person springen, da ich für diese Erinnerungen nach wie vor lieber eine gewisse Distanz zu mir einnehmen möchte.

Jedenfalls war damals überhaupt sehr wenig von meinem SELBST vorhanden. Dafür war da viel Rotwein. Mein Lebenselixier in dieser Zeit. In der Woche zuvor, als ich noch gar nicht wusste, dass ich mich auf diesen Spontantripp einlassen sollte, schaffte ich mal wieder eine Woche Abstinenz von Nikotin und einen gemäßigten kontrollierten Weingenuss wie ihn der Deutsche Werberat auch gerne als verantwortungsvolles Verhalten einstufen möchte. Kurz vor Stefans und Christophs Ankunft am Höllensteinsee stürzte ich abends dermaßen mit meinen Freunden ab, nachdem mich am selben Tag drei Nachrichten ereilten mit denen ich nicht gerechnet hatte. Drei Vertrauensbrüche an einem Tag in drei verschiedenen Rollen. Mein Leben sollte seinen Zenit an Absurditäten bis zu dieser Woche noch nicht erreicht haben, aber das Maß war für die Phase mal wieder mehr als voll. Und ich auch. Eigentlich wähnte ich mich dort im Urlaub sicher, aber meine mobile Erreichbarkeit setzte mir dennoch zu. 

Alkohol ist wie ein falscher Freund, der Dich so manipuliert, dass Du meinst ihn zu brauchen 

Details tun hier nichts zur Sache. Was ich Euch aber vermitteln möchte, damit ihr durch meine Geschichte die Fallstricke in suchtbelasteten Familien und sozialen Systemen besser verstehen könnt ist Folgendes: Mein Weg von einem kultivierten Trinken, über ein problematisches Trinkverhalten zu einer Alkoholsucht war von einer andauernden multifaktorellen Krise und hohen Leidensdruck gekennzeichnet, die ich vornehmlich vielen externen Faktoren in meinem damaligen Leben zuschrieb. Da ich mit familiären Krisen groß geworden bin, habe ich eine gewisse Resilienz entwickelt, um sehr viel einstecken und wieder aufstehen und weiter laufen zu können. Auch beruflich wurde ich so konditioniert. Den Großteil meiner Berufszeit steckte ich in Pitches, Strategiemeetings oder Restrukturierungskonstrukten. Krise war irgendwie auch meine Stärke ohne dass ich das wollte. Darauf komme ich nochmal an einer anderen Stelle zurück. Bis ich mich aus meinem selbstvernichtenden Denksystem herauslösen konnte, dauerte meine Krise, und damit auch meine sozial gerechtfertigte "krasse = völlig nachvollziehbar von Alkohol begleitete Phase plus Pandemie Relativierung" Jahre. Heute definiere ich den Zeitraum von 2018 bis 2022. 

"ALKIS MUSS MAN FALLEN LASSEN, SONST KÖNNEN SIE NICHT HEILEN" 

Ich möchte gar nicht wissen, wie viele alkoholerkrankte Menschen und Familien diese Leidenswege gehen mussten und heute noch gehen. Ich weiß heute nicht, ob Alkoholerkrankungen heilbar sind. Was ich aber weiß: Fallen gelassen wird man auch als kultivierte Trinkerin und heilen kann man auch als Alki wenn man aufgefangen wird...

Zu der Zeit als Gertis Alkoholerkrankung mich und unsere Familie stark belastete, in den 1980er und 1990er Jahren waren Alkoholprobleme in meinem sozialen Umfeld und in der Öffentlichkeit völlig tabuisiert. Aktive Hilfestellungen oder ein offener Umgang waren nirgends zu finden. Ich erinnere mich, dass wenn ich bis 2022 mit betroffenen Angehörigen über andere Menschen mit Alkoholproblemen sprach, diese meistens die Empfehlung erhielten, alkoholerkrankte Menschen (sog. "Alkis" oder "Alkoholiker*innen") müsse man komplett fallen lassen und isoliert ihrem eigenen Schicksal überlassen, damit sie eine Krankheitseinsicht erlangen und darüber in die Lage kommen, sich helfen zu wollen. Das ist hart. Und erscheint vermutlich in vielen Fällen den Betroffenen als einzig fruchtbare Strategie. Dennoch ist es eine furchtbare Vorstellung. Meine Mama Gerti verinnerlichte diese Sichtweise auf sich und ihr Leben par excellence. Sie trank sich heimlich zu Tode. Sie wollte niemandem zur Last fallen und ich meine in ihrem Haus, das ihren letzten Leidensweg stark zeichnete, abgelesen zu haben, dass sie mit ihrer Alkoholerkrankung nicht mehr leben wollte.  

Ich bin zwar auch tief gefallen bis ich meine Alkoholerkrankung einsehen konnte, aber mein Zustand ist kaum mit dem meiner Mama zu vergleichen. Ich konnte durch meine Erfahrungen mit ihr wesentlich früher die Anzeichen meiner beginnenden Sucht begreifen und aufgrund meiner Erfahrungen als Kind, meine Kinder vor meinen Traumatas bewahren. Der Wendepunkt für meine Einsicht war kein Zenit einer katastrophalen Aneinanderreihung von alkoholisierten Exzessen oder eine tragische Schlüsselsituation mit einem Verlust meines sozialen Umfelds.

KEINE ISOLATION, SONDERN MEINE RESSOURCEN HALFEN MIR AUS MEINER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT 

Es war eher ein günstiges Zusammenspiel aus internen und externen Ressourcen, meine Sehnsucht nach emotionaler Unabhängigkeit und meine Vorstellung einer Mama, die ich auch gerne gehabt hätte. Als ich das erste Mal schwanger war, versprach ich meinem Bauch, dass ich eine selbstbestimmte und emotional unabhängige Mama für meine Kinder sein werde. Ich spürte, dass irgendwas in mir nicht richtig programmiert war, aber ich konnte es außer einem Willen damals noch nicht in einen konkreten Gedanken bringen oder gar als Bedürfnis formulieren. Heute weiß ich: ich wollte meine persönliche Freiheit erlangen und mich aus den Altlasten meiner Tochterrolle und den damit verbundenen Denk-, Verhaltens- und Beziehungsmustern lösen.

Bevor ich mir meine Alkoholabhängigkeit eingestehen konnte, durchlief ich erstmal einen anderen elementaren Erkenntnisprozess mit Hilfe meiner Therapeutin, die heute eine Partnerin und Freundin geworden ist, Janet Goede. Im September 2021 wandte ich mich an sie mit der Fragestellung "Können Sie mir helfen emotional unabhängig von toxischen Bezugs- und Fürsorgepersonen in meinem Leben zu werden?" 

Ähnlich wie vor meiner Alkoholabstinenzerfahrung, war mir im Vorfeld meiner emotionalen Unabhängigkeit völlig unklar, wie das zu schaffen sei und ich hatte keine Vorstellung davon, wie es sich anfühlen könnte. Janet half mir mit verschiedenen Werkzeugen meinen SELBSTWERT erstmalig zu begreifen (Hirn), mich lieben zu lernen (Herz) und mir selbst und meiner Intuition zu vertrauen (Bauch). Somit arbeite ich nun seit knapp drei Jahren daran, wie ich meinen Selbstwert, meine Selbstliebe und mein Selbstvertrauen unabhängig und aus mir selbst heraus stärken kann, nachdem ich von 1983-2021 meine Selbstwahrnehmung und Zufriedenheit im ständigen Status- und Anpassungssystem von der Bewertung und Anerkennung anderer Menschen abhängig gemacht habe. Es ist so krass, das zu begreifen, zu verarbeiten und mit dieser Erkenntnis neu umgehen und leben zu lernen. 

 MENSCHEN MIT ALKOHOLPROBLEMEN FEHLT EINFACH WILLENSKRAFT 

Das ist eine weitere Annahme, die ich nicht belegen kann. Mir fehlte es nie an Willenskraft, wenn ich etwas wollte ;-) Nein, im Ernst. Für unser SELBST und unseren WILLEN bedarf es einer differenzierten Betrachtungsweise. Es geht bei der persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit von externen Belohnungssystemen um die Willenskompetenz, sich kontinuierlich mit sich selbst, anstatt sich mit dem Willen anderer auseinandersetzen zu können. Ich konnte das lange nicht, weil mir der Zugang zu meiner Authentizität aus verschiedenen Gründen und Entwicklungen in meinem Leben nicht möglich war. 

Die meisten Hindernisse des SELBST liegen deshalb in der Kindheit, weil diese Zeit besonders prägend ist. Viele negative Einstellungen uns selbst gegenüber haben ihren Ursprung in der Kindheit und wirken bis heute nach. Vernachlässigung in den ersten drei Lebensjahren haben wir nicht präsent (infantile Amnesie), aber sie wirken sich auf unser Hippocampus-Areale langfristig aus. Extreme psychische Belastungen in der Kindheit scheinen das System zu überfordern und dauerhaft zu schädigen. Der verkleinerte Hippocampus kann später auf weitere, weniger schlimme Ereignisse nicht mehr richtig reagieren. Das macht die Betroffenen, also u.a. mich empfindlicher für Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und  Suchterkrankungen. 

Eines der stärksten menschlichen Bedürfnisse ist der Wunsch nach Zugehörigkeit. Um Zuneigung und Anerkennung aus unserer Umgebung zu erhalten, müssen wir uns anpassen. Immer wenn es uns gelingt, uns so zu verhalten, dass wir eine Belohnung erhalten oder eine Strafe vermeiden, kommt es in unserem Gehirn zur Ausschüttung von Botenstoffen, die neuronale Verknüpfungen und synaptische Verschaltungen aktivieren. So lernen wir was akzeptabel ist und was nicht. Unser SELBST wird von Vorstellungen und Meinungen unserer Umgebung geformt. In meinem Fall war dieser Mechanismus sehr ausgeprägt und je fordernder mein Leben und meine Abhängigkeiten (vor allem durch meine Verantwortung als Mutter) wurden, desto unreflektierter bediente ich den Willen und die Vorstellung anderer Menschen ohne meine damit verbundenen Ressourcen mit meinen eigentlichen Bedürfnissen abgleichen zu können. Ich befand mich einen zu langen Zeitraum in einem zu komplexen interdependenten Abhängigkeitssystem mit chronischer Überbelastung und innerer Zerrissenheit mit seelischer Daueranspannung aus Über- und Unterforderung, so dass ich den emotionalen Stress für mich nicht mehr mal eben einfach so auflösen konnte.

Also trank ich regelmäßig, um den Wahnsinn ausblenden zu können. Je mehr ich trank, desto weniger vetraute ich mir. Je mehr ich trank, desto schlechter ging es mir. Je mehr ich trank, desto stärker verachtete ich mich. Je mehr ich mich verachtete, desto diskriminierender wurde mein innerer Dialog, desto unsicherer wurde ich und meine Kommunikation im Außen. Je mehr ich trank, desto weniger wert war ich es mir für mich einzustehen und meine Rechte einzufordern. Je mehr ich trank, desto mehr schämte ich mich. Eine alkoholsüchtige Mama war für mich wie eine Komplettkapitulation meines SELBST. 

In meiner letzten Trinkphase, als ich bemerkte, dass ich die Kompetenz verlor kontrolliert zu trinken, als also die Suchterkrankung begann und eine emotionale Abhängigkeit schon stark ausgeprägt war, da würde ich sagen war meine Willenskraft tatsächlich sehr eingeschränkt. Da begann ich aber auch langsam in mir zu spüren, dass meine bisherige Alkoholiker*innen-Positionierung, wie ich sie die Jahre zuvor nach zwei Flaschen Wein im vertrauten Kreis auch mal durchsickern ließ, nicht mehr lange zu halten war. "Mama schüttete sich morgens Schnaps rein, sie war richtig alkoholkrank. Ich bin nur eine Alkoholikerin wie ja irgendwie ganz viele in Deutschland, ist ja auch irgendwie normal für meine Phase und dafür, was ich alles aushalten muss..." Diese Positionierung schien für die meisten um mich auch nachvollziehbar.

In meiner letzten Trinkphase änderte ich aber auch heimlich die Spielregeln. Ich begann heimlich zu trinken und sprach nicht mehr so offenherzig über meine Mengenkompetenz. Ich begann wieder hinzufallen, wie damals in der Jugend. Ich war dafür bekannt, dass ich irgendwann einfach auf dem Boden lag.

Und wann habe ich dann wieso endgültig aufgehört Alkohol zu trinken?  

"Weil ich nicht einfach fallen gelassen wurde"

Weil ich Ressourcen in mir und um mich hatte. Meine stärkste Ressource: die Liebe zu meinen Kindern, meine Kernfamilie und Freundeskreis. Es war nicht einfach damals und trotz meiner starken Ressourcen war ich in einem Spannungsfeld mit toxischen manipulativen Bezugspersonen, deren negative Agitationen und Einflüsse ich lange nicht unter Kontrolle bekommen konnte. Daneben waren zum Glück Lebensfreund*innen, die mir die Möglichkeit gaben, mich selbst positiv in allen meinen Rollen wahrnehmen und meine Selbstwirksamkeit Stück für Stück zurückgewinnen zu können. Nun stellt Euch mal vor, die hätten mich auch fallen gelassen oder isoliert? Stattdessen konnte ich mich mit ihrer Hilfe als Mama weiter stabilisieren, als kreative Strategin agieren und sie halfen mir, mich stigmafrei meiner Alkoholerkrankung annähern zu können. Mit Christoph lernte ich, dass Liebe nichts mit emotionaler Abhängigkeit zu tun haben muss und durch Stefan erlebte ich, dass Freundschaft bedeutet diese auch "all in" zu setzen, wenn sich Freund*innen durch Drogen selbst zu zerstören beginnen. Mit beiden in ihren jeweiligen Rollen für meine Familie und GERTY NUSS kann ich bis heute erleben, dass gegenseitige Abgrenzung für ein eigenes SELBST und ein anderes SELBST zu stabilen vertrauensvollen Beziehungen führen kann. Und dann kam auch noch Nathalie Stüben im Juni 2022 im Internet ums Eck und hat mir geholfen endlich zu verstehen, was für eine Dreckssubstanz Alkohol eigentlich ist und mir den richtigen Impuls und Mut gegeben, ein alkoholfreies Leben zu wagen. 

Ich hatte bis 2022 wenig Vorstellung davon, wer ich eigentlich bin und was ich eigentlich alles (noch sein) kann. Meine gedankliche Navigation zu meinem Selbst bleibt wohl eine Lebensreise. Ein Abgleich was normal oder Wahnsinn ist in mir und um mich, wird mich wohl weiter begleiten. Aus meiner aktuellen Krise möchte ich mich weiter heraus navigieren. Der Krebsverdacht hat mich psychisch wieder weiter zurück geworfen als es mir lieb ist. Vermutlich hat aber auch das einen Sinn. Aktuell arbeite ich u.a. mit der Technik von T.D.A. Lingo daran, Auswirkungen negativer Erfahrungen mit meiner eigenen Vorstellungskraft aufzulösen. Wir können traumatische Erlebnisse verarbeiten, wenn wir die in der Vergangenheit konditionierten Reflexe, die vom Reptiliengehirn und damit verbundenen Emotionen vom limbischen System unter die Kontrolle des Stirnlappens bringen, in dem es die Amygdala in eine positive Richtung umschaltet. Klingt komplizierter als es ist. Ich konzentriere mich im Moment auf meine Therapiemaßnahmen und möchte diese Selbsterfahrungen auch Euch als Unterstützung dokumentiert zur Verfügung stellen. Das hilft mir und Euch zu genesen bzw. mental stabil durch den Alltag zu kommen. 

Andernfalls bleiben schmerzhafte Situation aus der Vergangenheit ungeklärt abgespeichert. Sobald ich in eine ähnliche Situation gerate oder ein Mensch wunde Punkt trifft, reagiere und fühle ich so wie damals. Diese emotionalen Reflexe sind leider sehr schwer zu steuern. Meistens reagiere ich mit Panik oder Flucht oder Kampf. Ich werde wieder ungewohnt gehemmt, wütend, traurig oder hilflos. Schlimmstenfalls bleibe ich in diesem Zustand verfangen, weil ich gedanklich ständig dorthin zurückkehre, wo ich eigentlich schon längst weg war. 

Wenn ich die Vergangenheit nicht loslassen und verzeihen kann, wird es schwer weiter frei an einem sinnstiftendem Leben zu arbeiten und für meine Kinder stabil zu bleiben. Das musste ich nun leider wieder schmerzlich erfahren. Ich muss also weiter verzeihen lernen oder damit leben lernen, dass ich ein verletzlicher Mensch bin und manch Schmerz einfach zu meinem Leben gehört. Bei manchen Situationen gelingt es mir besser als bei anderen Themen. Manche Menschen leben gar nicht mehr, andere sind einfach schwierig ... 

 

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